Eine Frau, ein Mann, ein Dancefloor: So lernen sich Qiaoqiao und Guo Bin kennen. Irgendwo in der nordchinesischen Provinz haben sich diese traurigen Seelen gefunden, doch das anfängliche Glück hält nicht lange. Der mysteriöse und wortkarge Bin wird zunehmend frustrierter und flieht aus seinem Zuhause. Qiaoqiao macht sich auf die Suche nach ihrer großen Liebe, doch in Bins neuem Leben scheint kein Platz für sie zu sein. Es beginnt die stille Reise einer Frau, die wie ein Phantom fast teilnahmslos durch die Provinzen Chinas gleitet und die wandelnde Umwelt registriert.
Mit seiner unvergleichlichen Fähigkeit, die komplexe soziale und kulturelle Landschaft Chinas einzufangen, präsentiert Jia Zhang-Ke uns einen nahezu dialoglosen Film, der seinen Figuren einfach frei und lose durch die gewaltige Landschaft Chinas folgt. Das Ergebnis ist ein faszinierendes Puzzle aus Geschichten und Emotionen sowie ein suggestives Stimmungsbild der raschen Modernisierung der Volksrepublik.
Jia Zhang-Ke kombiniert alltägliche Szenen mit poetischen Bildern des Dreischluchtenstaudamms, die er selbst vor vielen Jahren gemacht hat. Caught by the Tides ist damit auch ein Found-Footage-Film, dessen eigentliches Thema der Fluss der Zeit ist. So verbinden sich Geschichte und Geschichten zu einer eindringlichen Metapher auf den kollektiven Ausdruck von Hoffnung und Trauer in einem sich wandelnden China.
(Text: Around the World in 14 Films)
Regisseur Jia Zhang-Ke begann mit den Dreharbeiten zu »Caught by the Tides« im Jahr 2001 und beendete sie 2023. In dieser über 20 Jahre umspannenden Zeitperiode wirft Jia Zhang-Ke nicht nur einen filmisch betörenden, epischen und musikalischen Blick auf das Schicksal und die Liebesgeschichte seiner Heldin Qiaoqia, sondern auch auf den tiefgreifenden Wandel und die sozialen Veränderungen im heutigen China.