In »Schafe in Wales«, bei dem Schlingensief zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch verfilmte, gelang es ihm, dem Plot die narrative Banalität auszutreiben, aus dem »Vorderen das Hintere« zu machen, keinen Streit (mit den Drehbuchautoren) zu vermeiden und die Schnittfassung, die als Kleines Fernsehspiel ausgestrahlt wurde, zu mißbilligen (er zog seinen Namen aus dem Vorspann zurück).
Aber auch in der publizierten Fassung hat sich Schlingensiefs Expressivität und Exzentrizität durchgesetzt. Täter und Opfer im Generationenkonflikt, Wölfe in Berlin und Schafe in Wales. Täter, deren verbrecherische Lust das überleben (sowie das Kunstwerk) garantiert, sind entgegen der landläufigen Erwartung, aber entsprechend dem Schlingensief-Kosmos die Kinder: die dicklichen und flinken Zwillinge Felix und Jacob. Im Tegeler Forst huschen Wölfe, eine hell erleuchtete U-Bahn rumpelt durch Nacht und Kälte und vereint die Protagonisten. Ein Erwachsener (Volker Spengler) sucht die Freundschaft der Kinder, um Verzweiflung und Aggression gegen kindliche Sicherheit und Unbefangenheit einzutauschen. Kindisch, gefährlich und potentielle Opfer sind die Erwachsenen: eine Hausfrau; ein Reiseleiter, der seine Gruppe »Rucki-Zucki« gröhlen läßt; die Besucher der (verbotenen) Hundekampfveranstaltung.
Die neueste Kiez-Mode ist mit dem Wolfs-Mythos vernetzt, und Schlingensief inszeniert eine von der Vergangenheit besetzte Albtraumwirklichkeit, die zu Tat und Verbrechen aufruft, will man überleben. Das Faszinosum der Väterwelt und der sündige Kitzel, sich ihrer zu entledigen, kommen in dem zum Ausdruck, was Schlingensief mit Vorbedacht extremisiert, überzeichnet und in eine makabre Groteske getrieben hat. Die emotionale Schichtung der aus ihrem narrativen Konnex weitgehend befreiten dramaturgischen Elemente, Geräusche, Ton, Musik setzt Intensitäten frei, die zur unmittelbaren Kommunikation führen.
Als Bonus-Film zeigen wir im Anschluss, um 20:30 Uhr, den Kurzfilm »Say Goodbye to the Story (ATT 1/11)«.